Predigt für Altjahrsabend zu 2. Mose 13,21.22 von Pfarrer Thomas
Predigt für die evangelischen Kirchengemeinden
Heidelsheim und Helmsheim
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Am 31. Dezember 2020,
Altjahrsabend,
Predigttext: 2. Mose 13,21.22
Mit Gott unterwegs „auf Sicht“
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den Altjahrsabend steht in 2. Mose 13, die Verse 21 und 22:
21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Vor einem Jahr an diesem Ort erwähnte ich, was das Wort des Jahres 2019 sei: Respektrente. Ich sah Kopfschütteln. Respektrente? Häh? Heute muss ich wohl keinen raten lassen, mit welchem Thema das Wort des Jahres 2020 zu tun hat. Insgesamt 8 Wörter haben es in die Top Ten für das Wort des Jahres geschafft, die mit diesem einen Thema zu tun haben: „Corona-Pandemie“ auf Platz eins, dann noch die Worte „Lockdown“, „Verschwörungserzählung“, „AHA“ (die Abkürzung für „Abstand, Hygiene, Alltagsmaske“), „systemrelevant“, „Triage“, „Geisterspiele“ und „Bleiben Sie gesund!“. Nur zwei Worte aus anderen Themenbereichen konnten in diese Phalanx eindringen: Auf Platz 4 „Black Lives Matter“ – das Motto der Bürgerrechtsbewegung gegen Polizeigewalt an Schwarzen – und „Gendersternchen“ auf Platz 9.
Wer hätte am Anfang des Jahres mit so etwas gerechnet? Dass so viele unserer Pläne und Vorstellungen durchkreuzt wurden von dieser Seuche? Hat es jemand vorausgesehen, dass das Ortsjubiläum von Heidelsheim relativ ungefeiert bleibt, um nur einen der vielen Ausfälle zu benennen? Wer hätte gedacht, dass wir das ganze Jahr über auf Trab gehalten werden mit der Frage, ob wir nun Plan B folgen, oder ob wir doch noch einen Plan C oder D brauchen?
Wäre mal lustig nachzuschauen, wie falsch die Prognostiker, Bleigießer und Horoskop-Leser mit ihren Voraussagen für das Jahr 2020 lagen. Wir brauchen aber gar nicht darüber zu spotten: Haben wir nicht selbst wie gebannt immer wieder neu auf die Zahlen der Neuinfektionen gestarrt, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen? Dass es noch viel schlimmer kommen würde oder alles gar nicht so schlimm werde oder überhaupt gar nicht schlimm sei und anderes viel schlimmer?
80 Millionen Deutsche haben sich als Chefvirologen und Pandemieprognostiker beschäftigt. Wären sie doch alle Bundestrainer geblieben, dann hätten wir uns bei den Spaniern kein 6:0 eingefangen!
Irgendwann haben wir es gelernt und gemerkt: Wir leben in einer Zeit, in der Pläne schnell geändert oder ganz neu erdacht werden müssen. Wir leben in einer Zeit, in der wir „auf Sicht“ fahren müssen. Wir leben in einer Zeit voller Überraschungen und Umwegen. Mal müssen wir wie wild schaffen und nicht lange danach stehen wir auf dem Abstellgleis. Ein anstrengendes Hin und Her.
Heute am Abend dieses chaotischen Jahres ist uns als Wort Gottes die Erzählung aus einer ähnlich wilden Zeit gegeben: Das Volk Israel ist unterwegs in der Steppe, in der Wüste. Es wurde befreit aus der Gefangenschaft. Gott hatte es – unter der Mithilfe von Moses – aus Ägypten geführt, wo sie Sklaven gewesen waren. Aber im neuen Land waren sie noch lange nicht angekommen. Irre viel Zeit waren sie unterwegs. In der Bibel werden solche Zeiträume mit der Zahl 40 beschrieben: 40 Jahre! Und vor allem: Der Weg war alles andere als gerade!
S chlaue Bibelleser haben mal versucht, die Route der Wüstenwanderung aufzuzeichnen! Die stammt sicher nicht aus einem Navi! Die ist weder direkt noch schnell und alles andere als ökonomisch.
Aber diese Route ist wie das wahre Leben! Da ist auch nicht immer alles gerade! Da geht’s mal vor und mal zurück. Und manchmal hat man den Eindruck: Das geht jetzt gerade in die falsche Richtung.
Gott hatte dem Volk Israel versprochen: Ich werde euch in die Freiheit führen in ein Land, in dem „Milch und Honig“ fließt, ein Land, in dem es euch und euren Nachkommen gut gehen wird! Und weil es von Gott versprochen wurde, nennen wir solch ein Land: Das verheißene oder das gelobte Land. Aber mit dem Versprechen lieferte Gott nicht gleich eine Landkarte mit eingezeichneter Route ab. Nein, auch die Israeliten waren „auf Sicht“ unterwegs. Tag für Tag schauten sie nach dem Zeichen Gottes und orientierten sich daran:
Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
Der HERR zog vor ihnen her, heißt es. Und sein Name ist Programm. Wo in der Lutherbibel HERR in Großbuchstaben steht, steht im Original-Text der Bibel der Gottesname: Jahwe. Der kommt von dem Verb (Tunwort) „Hajah!“ und das heißt: „Ich werde …“ oder „Ich bin …“.
Sie kenne solche Verben, Tunwörter, die nicht für sich alleinstehen können: „Ich soll …“ oder „Ich will …“ (Der Fachbegriff ist: Modalverb). Genauso auch der Name Gottes. Das „Ich werde …“ sucht nach Ergänzung, nach Fortführung. Deshalb ist eine angemessene Übertragung des Gottesnamens: Ich werde … für euch da sein! Ich werde … euch begleiten.
Die Wolkensäule und die Feuersäule sind das Zeichen für das Dasein Gottes, für sein Begleiten. Und so offen wie der Gottesname, ist auch seine Führung. Sie geschieht „auf Sicht“. Das passt zu seinem Namen. An anderer Stelle heißt es: Wenn die Wolke an einem Platz blieb, blieben die Israeliten auch da. Wenn sie weiterzog, zogen sie weiter.
Lieber Zuhörer, dann darfst du es so sehen: Wo dir ein Weg verschlossen ist, du anhalten musst, darfst du es aus Gottes Hand nehmen. Selbst wenn du umkehren musst, war der Weg nicht umsonst. Wer weiß, warum ihn Gott so geführt hat? Selbst wenn es ein schwerer Weg ist, darfst du der Begleitung Gottes gewiss sein!
Und wenn du denkst: So habe ich mir Gottes Weg mit mir nicht vorgestellt! Gott ist mir fern! Dann hör das: Die Wege sind nicht Gottes Wege, weil ich denke, das wären sie. Wir lesen Gottes Begleitung nicht an den Eigenschaften unseres Weges ab. Unsere Wege sind Gottes Wege, weil der „Ich bin da“, Jahwe, der HERR, auf ihnen dabei ist, so wie er es will. Gott kommt auch mit dem klar, was wir für Umwege oder Irrwege halten. Er begleitet uns „auf Sicht“ auch durch die Irrungen und Wirrungen, die auch das kommende Jahr – so viel ist wohl sicher – mit sich bringen wird.
Lasst uns in diesem Sinne weiter mit Plan A bis C leben, aber doch in der Offenheit, dass Gott am Ende mit uns nach Plan D geht oder E.
Manche denken: Wenn ich jetzt Gottes genauen Weg verpasse, was dann? Nein Gott ist nicht wie das Schicksal in Liebesfilmen, das nur den einen passenden Liebepartner kennt, der nicht verpasst werden darf. Der Gott Israels, der lebendige Gott ist eben lebendig: Flexibel! Er hat auch kein Problem, den Irrungen und Wirrungen unsere Wünsche und unserer Gefühle zu folgen.
Das heißt nicht, dass Gott kein Ziel für unsere Leben hat. Natürlich hat er das! Nennen wir es „gelobtes Land“ oder „verheißenes Land“. Und dass wir ein Stück davon schmecken im kommenden Jahr, das ist etwas, was Gott sich für uns wünscht.
Er wünscht sich uns ein Leben, in dem wir Menschen in Freiheit füreinander da sind. Ein Leben in dem das, was uns gerne gefangen nehmen möchte, die Macht verliert: Nicht die Sorge um das Geld soll uns bestimmen und nicht die Sorge um die eigene Ehre. Gott will uns in ein Leben führen, in dem Arbeit und Ruhe gut harmonieren. Gott will uns in ein Leben führen, in dem unterschiedliche Generationen einander achten, nicht einer auf Kosten anderer leben muss, unsere Ehen liebevolle Gemeinschaften bleiben und wir alle respektvoll miteinander umgehen. Das ist Gottes großes Ziel mit uns.
Das ist recht klar, sonst hätte er uns nicht Gebote gegeben, die eine solches Leben beschreiben. Wenn sie gute Ziele – ich rede mal jetzt nicht von Vorsätzen – für das neue Jahr brauchen, dann schauen Sie mal in die Zehn Gebote (2. Mose 20,2-17) und suchen sich eines raus. Wäre doch schön, wenn unsere Ziele mit den Zielen Gottes übereinstimmen würden!
Zum Beispiel das letzte Gebot (oder die letzten Gebote, je nach Zählung): Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. (2. Mose 20,17) Was für ein guter Vorsatz: Ich mach mich frei von den Wünschen, haben zu wollen, was andere haben. Wenn ich einkaufen gehe, mach ich mir erst einmal klar, dass viele meiner Bedürfnisse schon befriedigt sind, dass das kein Wettbewerb ist um schönere Autos, schönere Handys oder coolere Klamotten. Das ist doch ein schönes, gelobtes Land, in dem wir einander gönnen, was wir haben und können. Wir können Gott bitten, dass er den heiligen Geist in uns wirken lässt, dass er uns zeigt, wo es uns gut tut, nach etwas zu streben, oder wo uns nur der Neid und Konkurrenzdenken treibt.
Und wenn sie Gottes Ziel zum Vorsatz gemacht haben, machen Sie sich keine Gedanken, wenn sie unterwegs nicht besonders weit kommen. Gott geht unser Tempo mit. Er begleitet uns „auf Sicht“.
Nun bleibt vielleicht noch diese Frage offen: Wo wir heute keine Wolken- oder Feuersäule haben, wie können wir dann der Gegenwart Gottes gewiss werden?
Schon die Zeichen der Wolken- und Feuersäule machen etwas deutlich: Dass Gott da ist, darüber können wir nicht verfügen. Wir haben darauf keinen Zugriff. Wir können weder eine Wolke einfangen noch Feuer mit bloßen Händen. Wir können den lebendigen Gott nicht in die Tasche stecken wie einen Talisman, damit er uns ja nicht mehr entwischt. Wir haben Gott nicht im Griff.
Nein, Wolken- und Feuersäule haben wir heute nicht mehr als Zeichen. Aber in der guten Weihnachtsbotschaft heißt es: „Und das habt zum Zeichen, ihr werdet ein Kind finden in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lukas 2,12) Jesus das Kind, der Messias/Christus, ist für uns das Zeichen der Nähe Gottes – selbst in Schuld und Leid – wie uns das Zeichen des Kreuzes zeigt. Er ist bei Gott, in seiner Gegenwart – übrigens auch dort wo erzählt wird, wie Jesus – Stichwort: Himmelfahrt – zu Gott ging, war eine Wolke da. Und ein paar Tag später kam der Heilige Geist, der Geist Christi – wie ein Feuer auf die Gemeinde.
Waren Christus, das Wort Gottes, und der Heilige Geist, der Tröster Gottes in unseren Herzen, schon dort bei der Wüstenwanderung mit dabei? Jedenfalls ist es der Heilige Geist, der uns als Volk Gottes, als Gemeinde immer wieder zusammenführt. Und dort in der Gemeinschaft untereinander und unter dem Wort Gottes dürfen wir gewiss werden: Er ist da!
Das Volk Israel suchte dich Gegenwart von Wolken- und Feuersäule. So lasst uns Ausschau halten im kommenden Jahr nach Gelegenheiten, Jesus Christus in seinem Wort und in seinem Leib, der Gemeinde zu begegnen. Dieses Zeichen sind uns gegeben. Und wir sind eingeladen in Sichtweite dieser Zeichen zu bleiben.
So lass uns auch – wie das Volk Israel – gemeinsam unterwegs sein, in all dem Unwägbaren, ganz gleich, was uns für ein Jahr erwartet, ganz gleich in was für eine Zeit wir geworfen sind und was nachher als Wort des Jahres rauskommt. Ganz gleich, wie gut unsere Pläne und Vorsätze gelingen. Gott wird uns „auf Sicht“ führen und dabei sein. Der HERR wird vor uns herziehen. Lasst uns nur an ihm dranbleiben.
Amen.
Stephan C. Thomas, Pfarrer, Vakanzverwalter der Pfarrei Heidelsheim und Helmsheim
in diesen Tagen zu erreichen unter 0160-7965863